
Frankreich und der Zweite Weltkrieg Lehren von unerwarteter Aktualität
Die Freude über das Ende des Zweiten Weltkriegs ging in Frankreich mit der Sorge einher, dass sich ein Teil der Siegermächte langfristig miteinander verbünden könnte - zu Lasten Europas. Heute erinnert sich mancher an dieses Szenario.
Drei Monate vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht trafen sich der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premier Winston Churchill und der sowjetische Machthaber Stalin im Februar 1945 zur Dreier-Konferenz in Jalta. Nicht dabei die Leitfigur des freien Frankreichs, Charles de Gaulle.
Für den französischen General, Strategen und Befreier wurde Jalta zum Trauma. Seine Angst: Die USA und Russland teilen sich einfach die Welt auf - ohne Frankreich. Der Pariser De-Gaulle-Experte Maurice Vaïsse sagt, das sei die Grundlage einer "starken und tiefen Angst" von de Gaulle geworden. Seitdem sei er davon überzeugt gewesen, "dass man gegenüber den beiden Supermächten misstrauisch bleiben muss".

Im Februar 1945 berieten Churchill, Roosevelt und Stalin auf der Krim über die Nachkriegsordnung. Frankreich war an der Zusammenkunft nicht beteiligt.
Große Skepsis gegenüber der NATO
Das gilt auch für die Entwicklungen der Nachkriegszeit. Zwar zieht sich de Gaulle 1953 aus der ersten Reihe der Politik auf sein privates ländliches Anwesen in Colombey-Les-Deux-Églises zurück. Doch obwohl er nicht mehr Präsident ist und auch keine militärische Funktion bekleidet, mischt sich "Le Général", wie er in Frankreich gerne genannt wird, weiter kräftig ein, wie bei dieser Pressekonferenz im November 1953 in Paris:
Die Vereinigten Staaten […] haben mit dem Marshall-Plan und dem Nordatlantik-Pakt eine wirtschaftliche und militärische Allianz vorgeschlagen […] Es ist nun aber eher eine Art Protektorat. Welchen anderen Namen soll man einem System geben, in dem die gemeinsame Strategie, inklusive der Verteidigung Frankreichs, in der Praxis vollständig einem amerikanischen Chefkommandanten unterstellt ist?
Diese Ausführungen de Gaulles von 1953 bereiten seinen späteren Kurs vor, der nicht nur auf eine eigene wirtschaftliche und militärische Unabhängigkeit Frankreichs, sondern auch Europas pocht.
Die Straßburger De-Gaulle-Expertin Frédérique Neau-Dufour weist darauf hin, dass de Gaulle grundsätzliche für den Marschall-Plan und die NATO war. "Aber er hat sehr wohl gemerkt, dass die USA dadurch die Kontrolle über Europa übernahmen. De Gaulle wollte die eigene Souveränität wahren."
Angst vor einer Allianz gegen Europa
Nachdem es im Laufe des Algerienkriegs Ende der 1950er-Jahre in Frankreich zu einer Verfassungskrise mit Militärputsch in Algier kam, wurde de Gaulle mit großer Mehrheit 1959 erster Präsident der in Frankreich bis heute existierenden Fünften Republik. De Gaulle hatte gerade erneut erlebt, wie schnell die politischen Verhältnisse umschlagen können.
Seine historische Erfahrung lehrte ihn, immer mit allem zu rechnen. Von heute frappierender Aktualität sind die Ausführungen auf einer Pressekonferenz vom 10. November 1959 im Pariser Élysée-Palast:
Wer kann sagen, ob sich in Zukunft die politischen Gegebenheiten völlig ändern werden? Das ist bereits auf der Erde geschehen. Wer kann sagen, dass die beiden Mächte, die das Monopol über Atomwaffen hätten, sich nicht darauf einigen, die Welt zu teilen? […] Und wer kann sogar sagen, ob die beiden Rivalen nach irgendeiner politischen und sozialen Umwälzung gar nicht mehr unterscheidbar sind? In Wahrheit leistet Frankreich, indem es sich mit Atomwaffen ausstattet, einen Dienst am Gleichgewicht der Welt.
De Gaulle geht es darum, zu begründen, warum Frankreich ebenfalls Atommacht sein müsse. Aber mitten im Kalten Krieg entwirft der damals 68-jährige französische Präsident Szenarien der internationalen Politik, die lange Zeit unvorstellbar waren: Im Kern steht der Gedanke, die beiden Supermächte USA und Sowjetunion könnten gemeinsame Sache gegen Frankreich oder Europa machen, sich sogar politisch ähnlich werden und Europas Existenz gefährden.
Politische Science-Fiction, angekommen in der Realität
De-Gaulle-Kenner Maurice Vaïsse hat die Rede de Gaulles von 1959 ins Zentrum eines aktuellen Aufsatzes für die Zeitung Le Monde gestellt. Schon vor 66 Jahren habe De Gaulle sich vorgestellt, was nun im Jahr 2025 zu einem durchaus realistischen Szenario geworden sei: "De Gaulle stellt sich in einer Art von politischer Science-Fiction vor, dass sich eines Tages die beiden großen Mächte über die Europäer hinweg verständigen könnten, um die Welt zu beherrschen und sich zu vertragen."
Für Historiker Vaïsse ist mit der Politik Donald Trumps seit Amtsantritt im Januar gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin das von de Gaulle vorhergesagte Szenario eingetreten. Trump und Putin erweckten immer wieder den Eindruck, sich über die Köpfe der Europäer und die Interessen der von Russland angegriffenen Ukraine hinweg verständigen zu wollen.
Die Straßburger De-Gaulle-Expertin Frédérique Neau-Dufour sieht es ähnlich: "Diese Sätze heute wieder zu lesen, ist schon ziemlich beunruhigend, denn de Gaulle sagt es 1959, mitten im Kalten Krieg. Und heute, so viele Jahre später, sehen wir, dass er sich nicht getäuscht hat."