Menschen aus Afghanistan verlassen ein Flugzeug
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Aufnahmeprogramm Afghanin verklagt Auswärtiges Amt

Stand: 12.05.2025 11:25 Uhr

Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios hat eine afghanische Familie Klage gegen Deutschland eingereicht. Sie haben eine Aufnahmezusage und wollen erreichen, dass das Auswärtige Amt ihnen Visa erteilt.

Von Claudia Kornmeier, Philipp Eckstein und Gabor Halasz, ARD-Hauptstadtstudio

Seit mehr als 16 Monaten wartet Aaisha* mit ihrer Familie in Pakistan auf ein Visum für Deutschland. Nun geht sie juristisch gegen das Auswärtige Amt vor. Am Montag haben sie und ihre Familie beim Verwaltungsgericht Berlin Klage und einen Eilantrag eingereicht, bestätigt ihr deutscher Anwalt Matthias Lehnert.

Der Schriftsatz liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor. Klage und Eilantrag sind darauf gerichtet, das Auswärtige Amt dazu zu verpflichten, der Frau und ihrer Familie die nötigen Visa für eine Einreise nach Deutschland zu erteilen. Sie berufen sich auf eine Aufnahmezusage Deutschlands.

Die Klägerin, die nicht erkannt werden möchte aus Angst vor den Taliban, ist Wissenschaftlerin und Schriftstellerin. In Afghanistan hatte sie vor der Machtübernahme der Taliban in einer wichtigen Funktion für die Regierung gearbeitet. Deutschland kennt sie von mehreren Forschungsaufenthalten.

Aufnahmezusage auch für bedrohte Verwandte

Im Oktober 2023 hatte ihr das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Aufnahme im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms zugesagt. Das humanitäre Programm richtet sich unter anderem an Afghaninnen und Afghanen, die sich durch ihre Tätigkeit etwa in Justiz, Politik oder Medien "besonders exponiert" haben und deshalb "individuell gefährdet" sind.

Eine Aufnahmezusage erstreckt sich auf Kinder und Ehepartner sowie Familienangehörige, die ebenfalls durch die Tätigkeit ihrer Verwandten bedroht sind. Im Fall der Klägerin wurden ihr und 13 Familienangehörigen, darunter mehrere kleine Kinder, eine Aufnahme zugesagt.

Visa-Verfahren in Pakistan

Da Deutschland in Afghanistan keine diplomatische Vertretung hat, findet das Visaverfahren in Pakistan an der deutschen Botschaft in Islamabad statt. Teil des Verfahrens sind seit Juni 2023 auch zusätzliche Sicherheitsüberprüfungen, an denen Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz beteiligt sind, um mögliche Sicherheitsrisiken auszuschließen.

Erst dann ist von dort eine Ausreise nach Deutschland möglich - und das dauert. Die Ausreise wird von der Bundesregierung über Charterflüge organisiert.

Die Klägerin und ihre Familie hatten direkt nach ihrer Ankunft in Pakistan im Januar 2024 in der deutschen Botschaft in Islamabad Visa beantragt. Im Oktober fanden die Sicherheitsinterviews statt. Mitte März 2025 bekamen sie einen ersten Hinweis, dass die Visa fertig seien - aber noch keinen offiziellen Termin, um sie abzuholen, so ihr Anwalt.

Stattdessen mussten sie im April erneut für ein Interview mit Nachfragen zu verwandtschaftlichen Beziehungen in die Botschaft kommen. Die Klägerin sollte weitere Dokumente vorlegen. Ein geplanter Abflugtermin verstrich.

Abschiebung droht

In ihrer Klage argumentiert Aaisha, dass das Auswärtigen Amt "an keiner Stelle des Verfahrens Bedenken erhoben oder Hinweise gegeben" hat, die darauf schließen ließen, dass es "Sicherheitsbedenken" gegen ihre Einreise nach Deutschland gibt.

Dringlich sei ihr Anliegen, weil eine Abschiebung nach Afghanistan drohe. Ende März war eine Frist der pakistanischen Regierung abgelaufen. Bis dahin sollten alle Afghaninnen und Afghanen ohne offizielle Aufenthaltsgenehmigung das Land verlassen.

Die Visa der Klägerin und ihrer Familie für Pakistan seien mittlerweile abgelaufen und eine Verlängerung nicht mehr möglich. "Ich habe vier Mal um eine Verlängerung gebeten. Aber obwohl ich die nötige Gebühr bezahlt habe, wurde mir noch kein Visum ausgestellt. Das gilt auch für meine Familie", wird die Klägerin in dem Schriftsatz zitiert.

Außerdem drohe das deutsche Botschaftspersonal, wegen des Konflikts zwischen Indien und Pakistan abgezogen zu werden. Sie befürchte, dass die deutsche Botschaft aufgrund der verschärften Sicherheitslage nicht mehr in der Lage sein könnte, die Visa auszuhändigen - etwa wegen einer Evakuierung oder Sperrung der Botschaft. "Die Original-Reisepässe der Klägerin und ihrer Familie liegen noch in der Botschaft", sagt Anwalt Lehnert.

Kein Einzelfall

Die Situation der afghanischen Wissenschaftlerin und ihrer Familie ist kein Einzelfall. In Pakistan sind derzeit noch rund 2.500 Afghaninnen und Afghanen in laufenden Aufnahmeverfahren, die meisten aus dem Bundesaufnahmeprogramm. Die neue Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz (CDU) hatte vor Amtsantritt angekündigt, die Aufnahmeprogramme beenden zu wollen - "soweit wie möglich", heißt es einschränkend im Koalitionsvertrag.

Unionspolitiker haben jedoch sehr deutlich gefordert, auch Aufnahmezusagen zu überprüfen und wenn möglich, zu widerrufen. Bis zum Regierungswechsel hatte das Auswärtige Amt auf solche Forderungen mehrfach mit dem Hinweis reagiert, die Aufnahmezusagen seien "verbindlich".

Für eine Klage entschied sich Aaisha, nachdem sie mitbekommen hatte, dass sich die politische Situation in Deutschland geändert hat. Sie mache sich Sorgen, dass das Programm gestoppt werden könnte.

Dem ARD-Hauptstadtstudio sagt sie, eine Rückkehr nach Afghanistan sei für sie und ihre Familie unmöglich. "Wir würden an der Grenze sofort festgenommen werden." Deshalb hoffe sie, dass die deutschen Gerichte ihr nun helfen und, wie sie sagt, ihr und ihrer Familie "das Leben retten".

*Name geändert

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. Mai 2025 um 12:43 Uhr.