
Pläne von Union und SPD Bürgergeld - Hauptsache vermittelt?
Union und SPD wollen das Bürgergeld umbauen: Im Fokus soll die Vermittlung in Arbeit stehen, Sanktionen bei Pflichtverletzungen werden verschärft. Was sagen Betroffene und Experten dazu?
Es sind nicht viele, die an diesem Vormittag ins Jobcenter Aachen kommen. Und trotzdem: Zu keiner Zeit ist die Schlange weg. Mindestens ein, zwei Aachener stehen an, um Unterstützung zu bekommen. Entweder weil sie Bürgergeld beantragen wollen, Unterlagen einreichen müssen oder Fragen haben, was ihre Sozialleistungen angeht.
In der Schlange steht auch Michael Hupertz. Er bezieht Bürgergeld und versucht seit längerer Zeit, einen neuen Job zu finden. Seitdem die vermutlich kommende Koalition angekündigt hat, Jobverweigerer härter zu sanktionieren, diskutiert nicht nur er, was das für Bürgergeldempfänger bedeuten könnte. "Es bringt gar nichts", ist seine klare Meinung.
"Es gibt Leute, die können wirklich nicht arbeiten. Diese Menschen dann verzweifelt in irgendwelche Maßnahmen zu drücken, finde ich den falschen Ansatz." Denn wahrscheinlich ginge das dann eher nach hinten los, wenn die gezwungen werden.
Diskussion über härtere Sanktionen
Ein weiterer Bürgergeldempfänger in der Schlange hat genau die gegenteilige Meinung. Darian Nabo ist Ukrainer, er hält härtere Sanktionen für eine gute Idee: "Denn man muss organisiert sein und sich selbst kümmern. Man muss verantwortlich sein für seine Arbeit und seine Ausbildung."
Recherchen in verschiedenen Jobcentern zeigen aber auch: Zu den Jobverweigerern zählen gerade mal zwei bis vier Prozent aller Bürgergeldempfänger. "Die vielfach hitzig diskutierten Totalverweigerer gibt es in der Praxis so gut wie nicht", sagt Stefan Graaf, Geschäftsführer des Jobcenters Aachen.
"Was wir jedoch merken, ist, dass die Termintreue und Mitwirkungsbereitschaft einzelner Leistungsberechtigter zu wünschen übrig lässt. Für diesen Fall sollten wirksame Maßnahmen wie zum Beispiel eine vorläufige Zahlungseinstellung vorgesehen werden."
Image der Bürgergeld-Empfänger
Auch Jobcenter-Mitarbeiterin Tatjana Salomo berichtet davon und fügt hinzu, dass sie die Sicht von Politik und Gesellschaft auf ihre Kunden als unfair wahrnimmt: "Es ist schade, wenn diese Einzelfälle ihren Schatten auf die restlichen Betroffenen legen, die sich bemühen und die wirklich mit allen Kräften versuchen, ihre Situation zu verändern."
In der Städteregion Aachen beziehen gut elf Prozent der Bevölkerung Bürgergeld. Bundesweit sind es laut Bundesagentur für Arbeit gut acht Prozent. Darunter sind nicht nur Arbeitslose, sondern auch sogenannte Aufstocker, die Arbeit haben, aber zu wenig verdienen.
Weiterbildungen nicht vergessen
Menschen in Zukunft besser helfen zu können, hofft auch Stefan Graaf, Leiter des Jobcenters in Aachen. Doch nur von Arbeitssuchenden zu sprechen, das sei ihm zu kurz gegriffen. Der wieder geplante sogenannte Vermittlungsvorrang macht ihm Sorgen. Also Menschen zuerst in Jobs zu vermitteln anstatt sie weiterzubilden, dürfe am Ende nicht dazu führen, das diese Weiter- und Fortbildungen vernachlässigt werden.
"Vielen langzeitarbeitslosen Menschen fehlt es an schulischer und beruflicher Qualifikation", sagt Graaf, was eines der Hauptprobleme sei. "Circa 80 Prozent unserer arbeitslosen Menschen haben keine Berufsausbildung. Viele leben alleine und haben gesundheitliche Probleme. Da müssen wir weiter ansetzen. Mit Empathie, Zuwendung und Unterstützung, aber auch mit der klaren Erwartungshaltung an Anstrengungsbereitschaft, Eigeninitiative und Mitwirkung."
Aber er sagt auch, dass die Pläne der wohl kommenden Koalition aus Union und SPD in die richtige Richtung gingen. "Weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung, mehr Leistungsbündelung in vereinfachter Form, eine ausreichende Finanzmittelausstattung der Jobcenter sowie eine Schärfung der Eigenverantwortung des Einzelnen sind grundsätzlich begrüßenswert", so der Leiter des Jobcenters Aachen.
Wirtschaftliche Lage verbessern
Nicht nur er, auch andere Jobcenter-Leiter und Arbeitsforscher betonen, dass die kommende Regierung vor allem die wirtschaftliche Lage schnell verbessern müsse - da der Arbeitsmarkt angespannt ist und für viele Arbeitssuchende keine Jobs parat hat.
Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, sagt: "Er gibt einfach im Moment sehr wenige Einstellungsmöglichkeiten für Bürgergeldempfänger, die oft niedrig qualifiziert sind, gesundheitliche Einschränkungen haben oder, wenn sie einen Fluchthintergrund haben, die Sprache erlernen müssen - für viele dieser Menschen gibt es im Moment keine passenden Jobangebote." Das sei eine der größten und wichtigsten Herausforderungen für die wohl zukünftige Regierung unter Friedrich Merz.
Dass es ab und zu dann doch klappt, beweist der Fall des Aachener Bürgergeld-Empfängers Michael Hupertz. Er ist heute nämlich nicht ins Jobcenter gekommen, um weitere Unterlagen oder Gelder zu beantragen. Vielleicht war es eventuell sogar sein letzter Besuch im Jobcenter. "Es war für mich ein guter Tag", sagt er freudestrahlend. "Denn ich habe meinem Fallmanager gesagt, dass ich einen Job in Aussicht habe." Einen Job, den er jetzt schon beginnen kann - und womit er wieder zurück in Arbeit und raus aus dem Bürgergeld-Bezug ist.