
Verfassungsschutz zur AfD Was bedeutet die neue Einstufung - und was sind die Folgen?
Die AfD ist "gesichert rechtsextremistisch". Was bedeutet das für ihre Arbeit im Bundestag? Hat es Folgen für Beamte, die AfD-Mitglied sind? Und wie darf sie nun beobachtet werden? Die ARD-Rechtsredaktion beantwortet zentrale Fragen.
Der Verfassungsschutz ist der deutsche Inlandsgeheimdienst. Man nennt ihn auch das "Frühwarnsystem der Demokratie". Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden auf Bundes- und Landesebene ist "die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen".
Und zwar unter anderem über "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind" - also zum Beispiel gegen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenwürde. Es geht in der Praxis vor allem um die Beobachtung von rechtsextremistischen, linksextremistischen und islamistischen Bestrebungen. Auch Parteien oder Teile einer Partei können eine solche "Bestrebung" darstellen.
Was bedeutet die Einstufung als "gesichert extremistisch"?
Der Verfassungsschutz ordnet mögliche Fälle verfassungsfeindlicher Bestrebungen in drei Kategorien ein:
Erste Kategorie: Prüffall
Das Anlegen eines Prüffalls ist der erste Schritt im Verfahren beim Verfassungsschutz. Hierbei wird - vereinfacht gesagt - vorgeprüft, ob überhaupt genügend Anhaltspunkte für eine Beobachtung vorliegen. Der Verfassungsschutz kann in diesem Stadium lediglich Informationen aus offen zugänglichen Quellen sammeln: Zeitungsartikel, Fernsehbeiträge oder Internetauftritte etwa, aber auch öffentliche Äußerungen der beteiligten Personen, Vereinssatzungen oder Parteiprogramme.
Zweite Kategorie: Verdachtsfall
Wenn der erste Schritt aus Sicht der Behörde ergeben hat, dass es bei einem Prüffall erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung gibt, dann stuft der Verfassungsschutz diesen Fall hoch. Die nächste Stufe ist der Verdachtsfall. Ab dieser zweiten Stufe darf der Verfassungsschutz die betreffende Gruppierung beobachten. Sie gilt nun als "Beobachtungsobjekt".
Dritte Kategorie: gesichert extremistische Bestrebung
Die dritte Stufe ist das Vorliegen einer gesichert extremistischen Bestrebung. Auf dieser Stufe hat sich der Verdacht schon so weit verfestigt, dass aus Sicht der Verfassungsschützer keine Zweifel mehr am Vorliegen extremistischer Bestrebungen bestehen. Wie schon bei den Verdachtsfällen beobachtet der Verfassungsschutz auch hier die jeweilige Gruppierung oder Einzelperson. Bei den Kategorien "Verdachtsfall" und "gesichert extremistisch" informiert der Verfassungsschutz auch die Öffentlichkeit. Dazu sind die Behörden gesetzlich verpflichtet.
Was bedeutet "beobachten" genau?
Der Verfassungsschutz darf bei den Beobachtungsobjekten der zweiten und dritten Stufe auch "nachrichtendienstliche Mittel" einsetzen. So kann die Behörde grundsätzlich etwa V-Leute anwerben, also Personen aus dem Umfeld der Partei für Informationen bezahlen. Außerdem kann sie unter bestimmten weiteren Voraussetzungen Personen observieren oder im Extremfall unter bestimmten Bedingungen sogar die Telekommunikation überwachen.
Eine Beobachtung greift aber immer in die Grundrechte der beobachteten Personen ein - und auch in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte einer Partei. Darum muss das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) immer das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachten: Jede Beobachtungsmaßnahme muss erforderlich und angemessen sein.
Es darf also kein milderes Mittel geben, das genauso effektiv wäre. Bei einer "gesichert extremistischen Bestrebung" und bei einem "Verdachtsfall" stehen dabei grundsätzlich die gleichen "Werkzeuge" zur Verfügung. Aber in der höheren Stufe sind die Hürden niedriger, diese auch tatsächlich einzusetzen.
Wenn sich die Beobachtung auch auf gewählte Parlamentarier erstrecken soll, gelten ganz besonders hohe Hürden. Das Bundesverfassungsgericht hat 2013 entschieden, dass die Beobachtung eines Abgeordneten durch Behörden einen besonders schweren Eingriff in das freie Mandat darstellt. Das sei nur in Ausnahmefällen zulässig.
Was bedeutet die Einstufung für die AfD im Bundestag?
Die Einstufung hat keine automatischen Auswirkungen auf die Arbeit im Bundestag. Die Partei wurde nicht verboten. Sie kann weiterhin an Wahlen teilnehmen, ihre Abgeordneten sitzen weiterhin im Bundestag. Die Entscheidung könnte aber indirekt politische Auswirkungen haben.
Im Bundestag stehen zum Beispiel Entscheidungen darüber an, ob die AfD Posten von Ausschussvorsitzenden bekommt, oder das Amt eines Vizepräsidenten. Ob die neue Einstufung bei der Wahl solcher Ämter Auswirkungen hat, müssen die Abgeordneten in den kommenden Wochen entscheiden.
Was bedeutet die Einstufung für ein mögliches Parteiverbot?
Die AfD ist mit der Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch" nicht verboten. Sie kann also weiter an Wahlen teilnehmen und auch in Parlamenten vertreten sein. Es gibt auch keinen Automatismus, dass auf eine solche Einstufung zwingend auch ein Verbot folgen müsste. Das ist eine andere rechtliche und politische Baustelle. Nur das Bundesverfassungsgericht kann eine Partei verbieten. Und das auch nur in einem eigenen Verfahren, auf Grundlage eines konkreten Verbotsantrags. Diesen Antrag können nur die Bundesregierung, der Bundesrat oder der Bundestag stellen.
Ob das geschieht oder nicht, ist also eine politische Entscheidung. Eine Verfassungsschutzbehörde kann diesen Antrag aber keinesfalls stellen. Sollte es in der Zukunft zu einem Parteiverbotsverfahren in Karlsruhe kommen, könnten Erkenntnisse des Bundesverfassungsschutzes aber eine gewichtige Rolle bei der Beweisführung spielen. Die Materialsammlung für die Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch" könnte man zumindest in Teilen für die Begründung eines möglichen Verbotsantrags nutzen, falls er denn politisch gewollt sein sollte.
Was ist der Unterschied zu den Einstufungen der Landesverbände?
Der Verfassungsschutz ist in Deutschland aufgeteilt in das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Bundesebene und in die 16 Landesämter für Verfassungsschutz. Bislang hat der Bundesverfassungsschutz die Bundespartei der AfD als "Verdachtsfall" geführt, sie also in der zweiten Kategorie verortet. Genauso ist das auch bei mehreren Landesverbänden der Fall, etwa in Baden-Württemberg.
In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt aber führen die Landes-Verfassungsschutzbehörden die jeweiligen Landesverbände der AfD bereits seit längerem als "gesichert extremistisch". In diese höchste Stufe hat nun auch der Bundesverfassungsschutz die Gesamtpartei eingestuft.
Kann die AfD sich gegen ihre Einstufung wehren?
Ja. Der Verfassungsschutz ist an Recht und Gesetz gebunden. Und Gerichte können die Arbeit der Behörden juristisch überprüfen. Wer vom Verfassungsschutz beobachtet wird, kann das Vorgehen der Behörde also gerichtlich überprüfen lassen. Gegen die Einstufung der Bundespartei als "Verdachtsfall" hat die AfD bereits geklagt - ohne Erfolg.
Sowohl in der ersten Instanz, als auch in der zweiten, sahen die Gerichte (das Verwaltungsgericht Köln und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster) ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte, die eine solche Einstufung rechtfertigen.
Die AfD versucht derzeit noch, den Fall vor das Bundesverwaltungsgericht zu bringen. Auch die Einstufung als "gesichert extremistisch" in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wurde bislang von keinem Gericht gekippt.
Gegen die Einstufung als “gesichert rechtsextremistisch” kann die AfD sich separat vor Gericht wehren. Womöglich geht dieses Verfahren dann erneut über einen längeren Zeitraum durch die Instanzen.
Was bedeutet das für Beamte, die Mitglied in der AfD sind?
Beamte haben eine besondere Treuepflicht gegenüber dem Staat. Sie müssen aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten und dürfen ihr nicht neutral gegenüberstehen oder sie gar bekämpfen. Um einen Beamten aus dem Dienstverhältnis zu entfernen, reicht es nicht, einfach nur auf die Bewertung des Verfassungsschutzes zu verweisen. Sondern es wird eine Gesamtbetrachtung vorgenommen, bei der die Persönlichkeit, die konkrete Tätigkeit, die Stellung des Beamten und die Schwere des Dienstvergehens einfließen.
Als Dienstvergehen müsste in so einem Verfahren dann die Mitgliedschaft in der AfD geprüft werden. Dabei spielt es aber auch eine Rolle, ob der jeweilige Beamte Ämter in der Partei bekleidet und wie genau er sich in dieser Funktion verhält. Es gibt also auch hier keinen Automatismus, dass alle beamteten AfD-Mitglieder gehen müssen. Und: Wie geschildert kann die AfD diese Einstufung noch gerichtlich überprüfen lassen. Sollte die Einstufung keinen Bestand haben, würde das die Situation wieder ändern.