
Baden-Württemberg Ein Jahr "Reichsbürger"-Prozess: Wer ist Markus L. und warum hat er geschossen?
Seit einem Jahr stehen in Stuttgart neun Männer einer mutmaßlichen Terrorgruppe vor Gericht. Auch der Reutlinger Markus L. soll einen Umsturz geplant und auf Polizisten geschossen haben.
Vor einem Jahr wurden die neun Angeklagten im Stuttgarter "Reichsbürger"-Prozess zum ersten Mal in Handschellen in den Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim geführt. Einer von ihnen ist Markus L. aus Reutlingen. Der 48 Jahre alte Sportschütze soll nicht nur Teil der Terrorgruppe gewesen sein, ihm wird auch versuchter Mord vorgeworfen.
Markus L. aus Reutlingen: Wer ist der Schütze?
Es ist Trainingsbetrieb beim Schützenverein in Bad Urach. Schüsse hallen durch die Gänge. Der Schießstand ist gut besucht, es gibt eine Schulung für den "Nachwuchs". Nebenan ist ein öffentliches Training. Am Schießstand am Stadtrand von Bad Urach hat auch Markus L. aus Reutlingen an seiner Technik gefeilt und für Wettkämpfe trainiert. Jetzt ist der 48-Jährige seit zwei Jahren in Haft und seit einem Jahr Angeklagter im sogenannten "Reichsbürger"-Prozess am Oberlandesgericht Stuttgart.

Die neun Angeklagten im Stuttgarter "Reichsbürger"-Prozess werden in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Auch Markus L. aus Reutlingen wird dabei von mehreren Justizwachtmeistern bewacht.
Die neun Männer sollen gemeinsam mit weiteren Angeklagten in Prozessen in Frankfurt und München einen politischen Umsturz in Deutschland geplant und sich auf einen "Tag X" vorbereitet haben. Markus L. wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, in der sogenannten "Gruppe Reuß" um Heinrich XIII. Prinz Reuß, vorgeworfen.
Der Reutlinger sticht unter seinen Mitangeklagten heraus: Weil er bei einer Durchsuchung in seiner Wohnung auf Polizisten geschossen und einen SEK-Beamten so schwer am Arm verletzt haben soll, dass dieser heute nicht mehr in seinem Beruf arbeiten kann. Deshalb ist L. auch wegen versuchten Mordes angeklagt.
Verbindung zu "Reichsbürger"-Milieu
Eine von L. unterschriebene, sogenannte Verschwiegenheitserklärung wurde bei einem der mutmaßlichen Rädelsführer gefunden. Doch viel ist über seine politische Einstellung nicht bekannt. Ehemalige Arbeitskollegen haben als Zeugen vor Gericht ausgesagt, mit den Corona-Maßnahmen sei er nicht einverstanden gewesen. Von rechtsextremen Äußerungen und Bezügen zur "Reichsbürger-Szene" hat niemand berichtet. Eine Vorstrafe zeigt: Markus L. war bei einer Demo in Ofterdingen (Kreis Tübingen), hat damals verbotenerweise ein schwarzes Barett mit Verbandsabzeichen getragen.
Die Räume des Schützenvereins in Bad Urach und auch in Neckartenzlingen, wo Markus L. ebenfalls trainiert hat, wurden im April 2023 durchsucht, Anwesenheitslisten ausgewertet. Markus L. war mindestens einmal im Monat dort, um selbst zu üben oder als Aufsicht.
Zeugenaussagen: Waffennarr und guter Schütze
Im Schützenverein in Bad Urach haben ihn die meisten gekannt, aber kaum mehr über ihn gewusst, als dass er gut schießt. "Seine Waffen waren immer sauber, sehr ordentlich", sagte ein Vereinsmitglied dem SWR. "Ich habe auch mal neben ihm am Schießstand geschossen." Gewusst habe man über ihn nur, dass er Waffen und Autos mag. Bei Vereinstreffen sei er kaum dabei gewesen.
Inzwischen wurde Markus L. aus dem Verein ausgeschlossen. Sein ehemaliger Vereinskollege sagte: Es sei ganz klar gewesen, dass er nicht mehr Mitglied sein könne, nach dem, was passiert sei. Den Sportschützen stört allerdings, wie über die Anzahl der Waffen von L. gesprochen wurde. Denn Sportschützen hätten für verschiedene Wettkämpfe und Disziplinen in der Regel mehrere Waffen zu Hause, die alle registriert und gesichert aufbewahrt werden müssten. In der Wohnung des Angeklagten fanden die Ermittler 22 registrierte Waffen. Innenminister Thomas Strobl (CDU) sprach damals von einem "erschreckenden und auch perversen Waffenarsenal".
Vor Gericht haben Bekannte von Markus L. als Zeugen ausgesagt. Ein Sportschütze aus Neckartenzlingen (Landkreis Esslingen) sagte aus, L. habe so gut geschossen, dass er ihn gerne in seinen Verein holen wollte. Auch dort hat das Bundeskriminalamt die Vereinsräume durchsucht.
"Zurückhaltend" und "ein ganz normaler Mensch"
Während des Prozesses lächelt Markus L. dann in solchen Momenten und scheint sich zu freuen, dass seine Schießkünste gesehen wurden. Sonst zeigt L. nur wenige Emotionen, verfolgt den Prozess aber aufmerksam. "Er ist ein korrekter, zuverlässiger und hilfsbereiter und ruhiger Mensch", betont auch ein Schützenkollege, der als Zeuge vor Gericht aussagt.
Ähnlich hat das auch ein psychiatrischer Gutachter eingeschätzt. Er hält Markus L. für "komplett normal". Der Psychiater konnte für das Gutachten allerdings nicht mit Markus L. persönlich sprechen, weil er nicht aussagt. Es beruht ausschließlich auf den Prozessakten, Einsatzvideos der Polizei sowie den Zeugenaussagen in der Verhandlung.
Markus L. und die acht weiteren Angeklagten sind inzwischen mehr als zwei Jahre in Haft. Sie alle erscheinen meistens in grauer Kleidung, auch ihre Haut scheint blass und grau. Neun Angeklagte und ihre insgesamt 18 Verteidiger sitzen der Bundesanwaltschaft gegenüber, die zahlenmäßig unterlegen ist: Vertreten wird der Staat von zwei Staatsanwälten.

Die Sicht der Angeklagten im Großen Sitzungssaal des Stammheimer Prozessgebäudes. Sie sitzen hinter einer dicken Glasscheibe.
Wie gefährlich aber waren die mutmaßlichen Pläne der Gruppe, mit Waffengewalt einen politischen Umsturz in Deutschland zu erreichen? Das will das Oberlandesgericht Stuttgart voraussichtlich an vielen weiteren Verhandlungstagen in diesem Mammutprozess klären. Die Beweismittel zeigen, dass die Mitglieder der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß laut Anklage auf dem Papier detaillierte Planungen für einen politischen Umsturz hatten. Markus L. ist der Einzige, der geschossen hat.
Sendung am Di., 29.4.2025 18:00 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW