
Hessen "Biomass"-Satellit der ESA erfolgreich ins All gestartet - Freude in Darmstadt
Mit einer Vega-C-Rakete hat die ESA einen weiteren Satelliten ihres Erdbeobachtungsprogramms ins All geschossen. Er soll genaue Daten über die in den Wäldern enthaltene Biomasse liefern und den Klimaschutz verbessern. Dabei hilft eine Technologie, die noch nie im Weltraum verwendet wurde.
Er sieht aus wie ein riesiger Sonnenschirm, unter dem ein kameraähnlicher Kasten hängt. Zwölf Meter im Durchmesser misst die ausklappbare Radarantenne des "Biomass"-Satelliten der europäischen Raumfahrtagentur ESA. Seine Mission stellt laut Esa einen Meilenstein in der Klimaforschung dar.
Mit neuartiger Technologie an Bord soll der Satellit in den nächsten fünf Jahren aus rund 660 Kilometern Höhe exakte Daten über Menge und Verteilung der Biomasse und somit des Kohlenstoffs in den Wäldern der Erde liefern und so einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Gesteuert wird die Mission vom Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt aus.
Applaus, als "Biomass" sich aus dem All meldet
In dessen vollgepacktem Konferenzsaal brandet am Dienstag Applaus auf, als das erste Signal des Satelliten aus dem All empfangen wird. Etwa eine Stunde zuvor war die Vega-C-Rakete mit "Biomass" vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana gestartet.

Gute Laune beim Missionsteam in Darmstadt nach dem geglückten Start
"Der Satellit ist offenbar da, wo wir ihn haben wollen", sagt Rolf Densing, Leiter des ESOC. "Das ist schon mal gut." Gut sei auch, dass die Solarpanele ausgefahren sind, die "Biomass" mit Strom versorgen.
Biomasse vor allem in den Wäldern
Die Biomasse der Erde ist die Gesamtheit der organischen Substanz, also Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen. Sie besteht hauptsächlich aus Kohlenstoff. Zwischen 70 und 90 Prozent der Biomasse sind in den Wäldern gebunden, vor allem in den tropischen Regenwäldern.
Verbrennen oder verwittern sie – etwa nach Abholzung – wird der Kohlenstoff in die Atmosphäre freigesetzt. Dabei verbindet er sich mit Sauerstoff und bildet das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2). Umgekehrt absorbieren lebende Wälder CO2 aus der Atmosphäre und lagern es ein, rund acht Milliarden Tonnen pro Jahr.
Mission soll Wissenslücken schließen
Die Wälder spielen also eine entscheidende Rolle, wenn es um den Kohlenstoffhaushalt der Erde und somit um den Klimawandel geht. Doch um zu verstehen, wie genau sich dieser Austausch auf das Erdklima auswirkt, braucht es präzise Daten. Und da gibt es in der Forschung noch große Lücken.
Bislang lässt sich die Biomasse der Wälder nur grob berechnen. Jeden Baum einzeln vom Boden aus zu erfassen, ist schlichtweg unmöglich. Auch bisherige Weltall-basierte Messungen, etwa mit optischen Sensoren oder Laser, liefern nur grobe Anhaltspunkte.
Erstmals P-Band-Radar im All
"Wir wollen verstehen, wie viel Biomasse in den Wäldern vorhanden ist", sagt Projektleiter Nicolaus Hanowski. "Dafür verwenden wir bei dieser Mission Technologien, die noch nie im Weltraum waren."
Dazu gehört das niedrigfrequente P-Band Synthetic Aperture Radar (SAR). Mit einer Wellenlänge von rund 70 Zentimetern durchdringt es das Blätterdach der Baumkronen. So erfasst es die Höhe der Bäume sowie das Volumen von Stämmen und Ästen.
Wie ein CT im Krankenhaus
Ähnlich wie bei einer Computertomographie im Krankenhaus lassen sich 3D-Karten von Wäldern selbst in den unzugänglichsten Regionen der Tropen erstellen, wie Missionsmanager Klaus Scipal erklärt. "Während der gesamten Missionsdauer werden sechs komplette Bestandsaufnahmen gemacht." So würden auch Veränderungen der Wälder dokumentiert.
Die Daten fließen in globale Klimamodelle ein. Jeder kann diese Daten verwenden. Sie sind laut Hanowski frei verfügbar. Sie dienen somit als Grundlage für Aufforstungsprogramme und können politischen Entscheidungsträgern Hilfen bieten.
Problemloser Start für Europas Hoffnungsträger
Der Start der 35 Meter hohen Vega-C-Rakete verlief diesmal einwandfrei. Mit dem rein europäischen Fabrikat hatte es in der Vergangenheit schon mal Probleme gegeben. 2022 musste die Rakete kurz nach dem Abheben wegen Triebwerksproblemen gesprengt werden.
Vergangenen Dezember gelang der Start mit einem Sentinel-2-Satelliten an Bord auch erst im zweiten Versuch. Der Montageturm hatte sich nicht wegschieben lassen – wegen Schwierigkeiten mit der Mechanik, wie die verantwortliche Ariane Group erklärte.
Auf der weiterentwickelten Version der Vega-Familie ruhen die Weltraumhoffnungen der Esa. In der Vergangenheit bediente sich die Raumfahrtagentur immer wieder einer Falcon-9 des Unternehmens SpaceX, hinter dem der US-Milliardär und Trump-Berater Elon Musk steht. Für Europa ist es wichtig, sich beim Zugang zum All unabhängig zu machen.
Weiterer Stein im Earth Explorer-Programm
Die etwa 500 Millionen Euro teure "Biomass"-Mission ist Teil des Earth Explorer-Programms der Esa. Dazu gehören unter anderem auch die Aeolus-Mission zur Messung von Windprofilen oder die vor einem Jahr gestartete EarthCARE-Mission zur Untersuchung von Wolken.
Für das Team im ESOC in Darmstadt beginnt jetzt eine Reihe von Tests und Kalibrierungen, bis der Satellit seine eigentliche Arbeit aufnehmen kann. Neun Tage soll es dauern, bis auch der große Radarschirm vollständig ausgeklappt sein wird. Die sogenannte frühe Orbitphase gilt als besonders kritisch.
Densing ist aber zuversichtlich, dass nach dem erfolgreichen Start auch das gelingen wird. "Schiefgehen kann immer etwas", sagt der ESOC-Chef. "Aber heute sind wir erst einmal sehr zufrieden."