Kreuz auf einem Wörterbuch mit dem Wort Missbrauch.

Niedersachsen Missbrauchsstudie: Das hat sich in der evangelischen Kirche verändert

Stand: 29.04.2025 06:42 Uhr

Seit der Vorstellung der Missbrauchsstudie im Jahr 2024 gibt es in der evangelischen Kirche erste Reformen. Betroffene fordern aber weiter eine konsequentere Aufarbeitung und schnellere Verbesserungen.

Von Eckhart Querner

Hannover, der Ort des Evangelischen Kirchentags, ist seit dem 25. Januar 2024 auch mit einem der dunklen Kapitel der evangelischen Kirche verbunden: Sexualisierte Gewalt. Denn in Hannover wurde die große Missbrauchsstudie vorgestellt. Ihr Ergebnis: mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte. Was hat sich seitdem getan in der evangelischen Kirche?

Sexualisierte Gewalt bei der evangelischen Kirche

Als Kind hat Detlev Zander in einem Kinderheim bei Stuttgart schweren sexuellem Missbrauch und Misshandlungen erlebt. Heute setzt er sich aktiv für andere Betroffene ein: als ihr Sprecher im zuständigen Gremium, dem Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland, kurz EKD. "Die evangelische Kirche insgesamt schwimmt immer so unten durch. Man macht zwar viel, aber wenn wir Betroffene nicht immer wieder den Finger in die Wunde legen würden, wären wir heute nicht so weit", sagt Zander.

Jahrelanges Zögern bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

2010 wurden zahlreiche Fälle von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche öffentlich. Erst acht Jahre später wuchs auch in der evangelischen Kirche die Einsicht, dass man ein Problem mit sexualisierter Gewalt und mangelnder Aufarbeitung hat. Weitere sechs Jahre später, im Januar 2024, erschien die sogenannte ForuM-Studie zu Missbrauch in der evangelischen Kirche. Sie benannte Faktoren, die sexualisierte Gewalt im Umfeld der evangelischen Kirche begünstigten. Und enthielt zudem Empfehlungen an die Kirche.

ForuM-Studie: Das hat sich seitdem getan

Die Kirchenpräsidentin der Pfalz, Dorothee Wüst, ist die Vertreterin der evangelischen Kirche im Beteiligungsforum. Sie sieht bereits erste Erfolge bei der Umsetzung der Empfehlungen. Zunächst müsse demnach die Gewaltschutzrichtlinie geändert werden. Zum Teil haben Landeskirchen bereits Gewaltschutzgesetze, aber: "Jetzt geht es darum, dass sich die betroffenen Personen darauf verlassen können, dass es nicht abhängig vom Wohnort ist, wie sie behandelt werden."

Betroffene fordern mehr Entschlossenheit der Kirche

Das Fazit von Detlev Zander zur ForuM-Studie fällt geteilt aus. Sie habe zwar zu einer sehr breiten öffentlichen Diskussion geführt und es seien Maßnahmen angestoßen worden wie die Verschärfung des Disziplinarrechts. Aber: In evangelischen Kirchengemeinden spürt Zander immer noch Widerstand, das Thema Missbrauch und Aufarbeitung anzugehen. "Mir fehlt, dass man da wirklich massiv reingeht und erstmal die dunklen Ecken ausräumt, bevor ich eine helle Ecke wieder aufmache."

Anerkennungsleistungen für Opfer

Und dann sind da noch die Anerkennungsleistungen für Betroffene. Bisher hatte jede der 20 Landeskirchen die Höhe selber festgelegt. Ab 2026 soll es bundesweit einheitliche Zahlungen in der evangelischen Kirche und der Diakonie geben. Detlev Zander hebt hervor, dass die Höhe der Zahlungen sich in Zukunft auch nach den Spätfolgen von Missbrauch wie Krankheit, psychische Störungen oder Wohnungsnot richtet. Und dass es keine Obergrenze für Zahlungen gebe.

Forderung nach Zusammenarbeit zwischen den Kirchen

Kerstin Claus ist bei der Bundesregierung zuständig für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie kritisiert, dass die einheitlichen Zahlungen früher hätten kommen müssen. Gerade in Bezug auf das System der Anerkennungsleistungen sei fraglich, warum die evangelische Kirche nicht analog zur katholischen Kirche früher und schneller verfahren ist. Die katholische Kirche habe "ja ein System entwickelt, das seit Jahren läuft, über das viele Gelder ausgezahlt und wo auch die Kriterien erarbeitet wurden", so Claus. Die unabhängige Missbrauchsbeauftragte fordert beide Kirchen zu engerer Zusammenarbeit auf. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es bei den Anerkennungszahlungen einen Unterschied gebe.