
Neuer Unionsfraktionschef Kann Spahn auch loyal?
Betont zurückhaltend präsentiert sich Jens Spahn nach seiner Wahl als Unionsfraktionsvorsitzender. Als loyaler Brückenbauer. Doch Fraktionschef könnte für den ambitionierten CDU-Politiker nur eine Zwischenetappe sein.
Demut, Vertrauen, Verantwortung - das sind die Schlagworte, mit denen Jens Spahn am Tag seiner Wahl zum Fraktionschef seine künftige Arbeit umschreibt. Durchaus ergriffen steht er da, auf der Fraktionsebene im Bundestag, neben Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder. Und es wirkt ein bisschen so, als ob Spahn bewusst gegen sein eigenes Image anredet: In der neuen Koalition werde "nicht auf den jeweiligen kurzfristigen Geländegewinn" Einzelner geschielt, sagt er. Stattdessen gehe es um "Teamarbeit" und "gemeinsame Erfolge".
Nur Markus Söder kann wohl nicht anders, als dem neuen Fraktionsvorsitzenden noch ein vergiftetes Lob mitzugeben: "Jens ist 360 Grad anspielbar und ein echter Allrounder", lobt Söder. "Und ja", kurze Kunstpause, "er kann auch loyal". Ein Schmunzeln geht durch das Publikum aus Journalisten und Fraktionsmitarbeitern.
Kanzler im Wartestand?
Da ist es wieder, das Image, das Jens Spahn schon seit Beginn seiner Karriere begleitet: der Ehrgeizige, der vor allem das eigene Fortkommen im Blick hat. Porträts über ihn titeln: "Einer will nach oben" oder "Kanzler im Wartestand". Zu fast jedem gehört die Geschichte, dass Spahn schon in seiner Abizeitung als Berufswunsch geschrieben haben soll: "Bundeskanzler, was sonst?"
Ob er fortan wirklich stets loyal zur Kanzlerschaft Merz steht oder irgendwann auf eigene Rechnung arbeiten wird - das zählt zu den spannendsten Fragen dieser neuen Legislatur. Spahn hat als Fraktionschef nun jedenfalls eine Machtbasis, größer als je zuvor. Denn in seiner neuen Rolle kann er über die Karrierewege von rund 200 Unionsabgeordneten mitbestimmen, Loyalität belohnen, Kritik bestrafen, Netzwerke ausbauen. Es ist die ideale Position, um Merz eines Tages zu beerben.
Altlasten aus der Corona-Zeit
Die parlamentarische Arbeit mit allen Kniffen kennt Spahn dabei genau: Der 44-Jährige sitzt seit fast 23 Jahren im Bundestag, fiel über die Jahre mit Wahlkampf-Fleiß, Talkshowauftritten und Hardliner-Positionen auf. Um den ehrgeizigen Mann aus dem Münsterland einzubinden, machte Angela Merkel ihn 2018 zum Gesundheitsminister. In der Corona-Zeit wurde Spahn anfangs gelobt, sogar von damals oppositionellen Liberalen und Grünen. Er sei "immer offen für ein Gespräch", hieß es, setze auf Experten und Sachlichkeit. Als "gelassener Krisenmanager" wurde er beschrieben, als es darum ging, Panik und Hamsterkäufe in der Bevölkerung zu verhindern.
Doch die Kritik nahm rasant zu, zum Beispiel an den harten Eindämmungsmaßnahmen. Bis heute hängt Spahn vor allem die Maskenbeschaffung nach: In einem so genannten "Open House"-Verfahren hatte sein Ministerium im März 2020 weltweit Unternehmen einen hohen Preis von 4,50 Euro pro Stück garantiert für alle eingehenden Maskenangebote. Daraufhin wurde das Gesundheitsministerium überschüttet mit Zusagen. Klauseln, die den Staat vor Mängeln oder zu späten Lieferungen schützen sollten, wurden von Gerichten für ungültig erklärt.
Dutzende Gerichtsverfahren laufen, das Ganze könnte am Ende mehrere Milliarden kosten. Brisant ist auch, dass Deals offenbar über Kontakte in der Union vermittelt wurden. Dass diese oder andere Missstände aus der Corona-Zeit mit der neuen Bundesregierung endlich aufgeklärt werden, dürfte nicht zu den größten Prioritäten der neuen Koalition zu gehören.
Spahn bringt also durchaus wunde Punkte aus der Vergangenheit mit - und seine unbedingte Loyalität muss er auch erst noch beweisen. Warum hat Merz dann ausgerechnet ihn zum neuen Fraktionschef gemacht? Spahn habe Merz vor allem in den Koalitionsverhandlungen überzeugt, heißt es aus Unionskreisen. Er ist einer der wenigen mit Regierungserfahrung in Merz' Umfeld, das sei spürbar gewesen. "Seine politische Erfahrung übertrifft die vieler Älterer", so stand es schon vor ein paar Jahren in einem FAZ-Porträt. Das galt in Spahns Karriere wohl zu jeder Zeit - auch jetzt.
Netzwerker, Trump-Versteher, Machtfaktor
Hinzu kommt, dass Spahn sich einen großen Unterstützerkreis im rechten Lager der Union aufgebaut hat. Er gab oft den Trump-Versteher, reiste zum republikanischen Parteitag 2024, um zu urteilen: Man habe mit Trump etliche "gemeinsame Interessen". Besonders eng gilt sein Verhältnis zum ehemaligen US-Botschafter Richard Grenell, der in der zweiten Amtszeit von Trump zum Sonderbeauftragten ernannt wurde. Spahn scheint seine Netzwerke - im Gegensatz zu Merz - in den vergangenen Jahren ausgebaut zu haben. Auch deshalb kam Merz am Machtfaktor Jens Spahn wohl nicht mehr vorbei.
Zuletzt fiel Spahn mit seinen Vorstößen zur AfD auf: Man müsse "mit der AfD als Oppositionspartei so umgehen wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch", sagte er Mitte April der Bild-Zeitung. Viele deuteten das so, dass Spahn die Union auf einen Annäherungskurs zur AfD bringen will - vor allem SPD, Grüne und Linke waren empört. Die Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz hat nun Spahns Sound, zumindest für den Moment, verändert. Als frisch gewählter Fraktionsvorsitzender betont er, "zum Umgang mit der AfD werden sich Union und SPD eng abstimmen". Eine Empfehlung, AfD-Abgeordnete zu Ausschussvorsitzenden zu wählen, werde es nicht geben.
Schafft Spahn den Rollenwechsel?
Als Fraktionschef muss eine von Spahns wichtigsten Grundfertigkeiten nun Verhandlungsgeschick sein. Er muss Fliehkräfte und Grummler in den eigenen Reihen einfangen, aber auch mit dem künftigen SPD-Fraktionschef Matthias Miersch einen engen Draht pflegen. Schließlich hat diese neue GroKo eben keine große Mehrheit, sondern nur zwölf Stimmen über dem Patt.
Besonders unbequem könnte es für Spahn werden, wenn er auch noch mit Grünen und Linken sprechen muss, etwa um Zweidrittelmehrheiten zu organisieren. Union und SPD haben vereinbart, bis Ende 2025 eine grundsätzliche "Modernisierung der Schuldenbremse" anzugehen, so steht es im Koalitionsvertrag. Aus grünen Kreisen heißt es, dass man Spahn bisher nicht als geschickten Verhandler kenne. Er trage nur seine Positionen vor, werde schnell laut und ungehalten - statt wirklich auf Kompromisssuche zu gehen.
Spahn war immer gut darin, in neue Rollen zu schlüpfen. Dieser Rollenwechsel dürfte der entscheidende für seine Karriere sein, wenn es irgendwann um die Nachfolge von Friedrich Merz geht. Denn an der Seitenlinie warten auch noch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Söder. Und beide werden keine Chance auslassen, ihrem Konkurrenten Spahn ungebetene Ratschläge und noch manch doppeldeutiges Lob mitzugeben.